Marienkreuz am Dorfanger

„Die Schmerzhafte“ – Stiegler-Kreuz

Aus der Schriftenreihe zur Geschichte der Marterl in Illmitz von Hans Kroiss

 

 
Dorfanger 1858 mit dem Marterl und dem angedeuteten Angerteich


 

 

 

Im Jahre 1997 von der Familie Klein/Munzenrieder wunderschön restauriert, mit der originalen Farbgebung sehr beeindruckende Pieta aus dem Spätbarock, steht diese Lichtsäule am südlichen Ende des Dreiecksangers von Ober –Illmitz. 

Unter der Rundbogennische in einer mächtigen, gedrungenen  Säule, die auf einem quadratischen Sockel ruht, steht folgende Inschrift: „O, Ihr Alle die am Wege vorübergehet, seht und gebet acht, ob ein Schmerz gleich meinem Schmerz.“ Die Illmitzer bezeichnen dieses Kreuz deshalb auch als „Die Schmerzhafte“. Vor allem aber ist es als „Stiegler-Kreuz“ bekannt.

Der Name der Familie Stiegler, die diese Lichtsäule Ende des 18. Jhdt. errichtet hat, ist heute nur mehr als Vulgoname des Stammhauses (nunmehr Klein) existent. Stiegler ist ein Familienname, der aus einer Bezeichnung der Wohnstätte des Trägers hervorging, nämlich als einen, der an einem markanten Steig oder Steg seinen Hof errichtet hat. Heute kommt dieser Name vor allem in der Steiermark, in Bayern und, bedingt durch die Auswanderungen im 19. und 20. Jhdt., in Amerika vor. In Illmitz wird ein Philipp Stigler das erste Mal in einem Urbar von 1675 genannt. Die Familie konnte sich im 18. Jhdt. zu einem der reichsten Bauernhäuser von Ober-Illmitz emporarbeiten.

Auf der Deckplatte des Marterls (ursprünglich ein stark abgeflachter Pyramidenhelm) befindet sich ein eisernes Doppelkreuz, fälschlicher Weise oft als Lothringerkreuz bezeichnet. Das lothringische hat zwei gleich lange Querbalken, die den Längsbalken dritteln. Bei unserem Doppelkreuz ist der obere Querbalken kürzer, es handelt sich somit um ein Patriarchenkreuz oder das Ungarische Kreuz. Dieses  hat der erste christliche König Ungarns, Stephan der Heilige, schon im Jahre 1000 n. Chr. in die königlichen Abzeichen integriert und findet sich noch heute im linken Schildteil des ungarischen Wappens. Dieses Ungarische Kreuz, vom damaligen Papst Sylveter II. verliehen,  steht für die apostolische Würde des Königs.

Eine weitere, viel interessantere und wahrscheinlich richtige Erklärung für das Doppelkreuz auf diesem Marterl ist die Tatsache, dass Ober-Illmitz ja seit Beginn des 13. Jhdt. nach einer Schenkung dem Kapitel zu Eisenburg (Vasvár) gehörte. Schon in der Zeit Karls VI. angedacht, gründete seine Tochter Maria Theresia als Königin von Ungarn 1777 das Bistum Steinamanger, da verwaltungsmäßig die Diözese Györ schon zu groß wurde. Auch Eisenburg kam zur neuen Diözese Steinamanger und somit auch der Besitz Ober-Illmitz. Dem neu gegründeten  Domkapitel wurde kirchenrechtlich und auch in der weltlichen Jurisprudenz eine gewisse Eigenständigkeit, eine sogenannte Exemtion (exemptio partialis, also teilweise),  zuerkannt und durfte als äußeres Zeichen eben dieses Doppelkreuz führen. Bei einer Exemtion wurde der nächste kirchliche Vorgesetzte für ein Kloster, Stift oder Bistum ausgegliedert und direkt dem Heiligen Stuhl in Rom unterstellt. Aus diesen Überlegungen heraus ist anzunehmen, dass das Stiegler-Kreuz kurz nach 1777 errichtet worden ist.

Der Erlass des Urbarialpatentes von Maria Theresia zehn Jahre vorher, das die Rechte und Pflichten der Untertanen gegenüber den Grundherren genau regelte, war für die Oberillmitzer nicht von allzu großer Bedeutung, da sie auch schon vorher viel mehr Interpretationsmöglichkeiten hatten, weil Eisenburg ja weit weg war und sie sich wirtschaftliche Freiräume schaffen konnten. Daher auch der etwas frühere, relative Reichtum einiger Bauern. Der katholische Glaube war im ehemals evangelischen Illmitz zu dieser Zeit schon sehr gefestigt, was man eben auch an der großen Marienverehrung sehen kann.

Noch einmal zurück zum Doppelkreuz. Auf dem Turm der gemeinsamen Kirche von Ober- und Unter-Illmitz befindet sich auch ein reich verziertes Doppelkreuz, und auch auf dem Firstende über der Apsis ist das Patriarchenkreuz oder Ungarische Kreuz zu sehen. Für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich als Krönung des höchsten Punktes oder Ende des Kirchenschiffes und vielleicht auch als Zeichen einer gewissen Sonderstellung einer Kirche.